Die Glühbirne am Strand

Im langen Schriftstellerinnenleben gab es viele Zusammenarbeiten. Schon der Start mit achtzehn Jahren war eine Vorlage für Teamarbeit. Hans Magnus Enzensberger und der Südwestrundfunk luden mich in einen Jazzkeller nach Pforzheim ein. Der eine suchte Texte aus, eine Schauspielerin lass, Musiker spielten und ich durfte ein paar Antworten in ein Mikrophon sprechen. Hörspiele entstehen durch Zusammenarbeit und Diskussionen. Fast elf Jahre habe ich mit Vibeke von Saher gemeinsam Regien, Hörspiele und Feature entwickelt. Wir waren oft tagelang zusammen voller Intensität. Die Fotografin Barbara Dietl schickte mir ein Jahr lang jeden Monat eine Fotografie, ein Bild und ich schrieb dazu eine Geschichte: zu besichtigen und zu lesen in ‚Das Gewicht der Seele‘, herausgegeben von Iris Noelle-Hornkamp. Mit ihr gab es eine lebenslange Begleitung, durch die mir immer klarer wurde, welche jüdische Geschichte ich habe und was ich eigentlich in einer Art Puzzle erzähle.
Seit Bestehen schreibe ich für ‚Aus dem Alltag – Die Welt ist eine Laienbühne‘, herausgegeben von Manfred Lipp https://www.ausdemalltag.at/category/ausdemalltag/  kurze Prosastücke, Gedichte, zu denen Doris Lipp aus ihrem Schatz der Fotografien ein Bild auswählt. Inzwischen schreibe ich zu ausgesuchten Bildern von ihr Erzählungen. Wieder eine Zusammenarbeit. Zu der letzten Geschichte vom Weltenrand Bodensee (nach dem letzten Krieg, als viele Flüchtlinge in Oberschwaben gelandet waren) schickte sie mir eine Mail:

Liebe Jay,

Was für ein wunderbarer Text zu der Glühbirne am Strand! Er fließt und strömt und trifft ganz genau die Stimmungen quer durch die Lebensphasen. Ich habe mich beim Lesen gefragt, ob es vielleicht gar nicht so wichtig ist, in welcher Zeit und Umgebung wir aufwachsen  und leben. Ob man vielleicht in jedem Leben während der unterschiedlichen Phasen die selben Themen bearbeiten soll. Unbestritten gibt es schwierige Zeiten und einfachere in der Geschichte, aber vielleicht sind trotzdem die Grundthemen gleich. Ich fand mich völlig wieder in deiner Beschreibung der Kindheit, separiert von den Erwachsenen, in einer Phantasiewelt mit ganz anderen Prioritäten. Und dem Gefühl, so viel zu können, so viele Geheimnisse zu entdecken zu haben, so viel Zeit natürlich auch.
Und dann die Phase um die fünfzig, wenn sich die Reihen der älteren Familienmitglieder bedenklich lichten und man sich neu verorten muss im Gefüge der Übrigen.
Im Text verwoben mit den persönlichen Erfahrungen ist die Geschichte der Menschheit überhaupt, die ewigen Fragen und die ewig fehlenden Antworten. Der Krieg, ein Ereignis, das sich in der Vergangenheit abgespielt hat, unvorstellbar für die meisten, selbst davon betroffen zu sein. Davon kann jetzt keine Rede mehr sein. Die trügerische Ruhe ist vorbei, die Bedrohungen sind viele. Für uns optimistischen Kinder der 70-er und 80-er ein ganz neues Gefühl, das viele einfach wegschieben. Das neue Biedermeier ist entstanden, es wird um den heißen Brei herum geplaudert und „Alles gut?“ gerufen. Mehr eine Beschwörung, als eine Frage. © Doris Lipp
Solche Briefe, Mails oder Hinweise in Gesprächen sind etwas kostbares. Nicht wegen des ‚Lobes‘, sondern wegen der Spiegelung, der Fragen. Wegen der Glasbirne im Sand und den gefundenen Worten. Warum schreibe ich zu einer Glühbirne in der Sonne die Geschichte vom Weltenrand Bodensee nach dem letzten Krieg? Warum fotografiert Doris Lipp dieses Bild? Was ist geschehen?