Von Köchinnen und Konsum

Wann soll eine Köchin lernen, die Staatsgeschäfte zu führen? Ein Leninzitat steckt hinter diesen Worten, das plakatiert in den sechziger und siebziger Jahren in vielen Wohnungen, Buchhandlungen und Frauenverlagen hing. In Deutschland. West. In ihrem Film Redupers funktioniert die Filmemacherin Helke Sander den Satz um. Sie fragt, woher soll eine Köchin die Zeit nehmen, Politik zu machen, wenn ihre Arbeit sie so erschöpft, dass es für sie zu einer Anstrengung wird, den nächsten Tag zu planen. Janis Joplin amerikanische Sängerin
Um die Köchinnen ist es den Genossinnen und Genossen damals nicht gegangen, auch wenn die Köchinnen Gegenstand mancher akademischen Abschlussarbeit wurden. Versteckt zwischen Marx und Feuerbachthesen. Auch heute interessiert sich kaum jemand für Köchinnen, außer sie besitzen Restaurants und treten im Fernsehen als Stars auf. Bei dem hoch gehandelten Hartzvier-Reförmchen, Chefgerangel von Damen und Herren der Politik, geht es weder um fünfhundert Euro noch um Köchinnen und deren Kinder, noch um eine Politik mit Sinn für Zukunft, sondern darum von einer Schandtat wegzukommen, einer öffentlichen Meinung zu genügen, ein bisschen so zu tun als ob, ohne soziale Gerechtigkeit herzustellen. Die einen meinen es gut, die anderen haben eine Freude daran, die Armen gegen die Ärmsten zu hetzten und von denen wiederum glauben einige, ihnen würde etwas genommen, wenn die Ärmeren eine Scheibe Kinderwurst mehr bekämen. Die Republik bleibt ein Billiglohnland. Das Menschenbild vieler Politiker ist zu tiefst deprimierend und entspricht inzwischen jeder Kapitalismuskritik: Der Mensch wird geboren, um hart zu arbeiten, irgendwo in der Mitte der Gesellschaft, damit sie und er konsumieren können, was wiederum die Reichen etwas reicher macht und den Laden am laufen hält, aber wenig zur Lebensfreude beiträgt. Inzwischen geht es nicht einmal mehr um eine lebbare Zukunft auf dieser Erde, sondern nur um Ausbeutung von Mensch, Tier, Rohstoffen, Hauptsache Gewinn. Karl Marx war da noch geradezu vornehm in seiner Beschreibung. Und die Gier ist nicht zu stoppen.
Bis heute ist es den Meisten am liebsten, wenn die Köchinnen in den Küchen, wenn wir unter uns bleiben. Ein kleines Stück Sicherheit. Aber dieser Wunsch unter ihres- und seinesgleichen bleiben zu wollen, führt zu einem immer größer werdenden Verlust an Öffentlichkeit. Mangel an Zuständigsein, an Interesse. An Gemeinwesen. An Solidarität. An Plänen für die Zukunft jenseits der Gewinnmaximierung.
Bei Verlagen wird gejammert, weil die Köchinnen angeblich nicht lesen, die Auflagen sinken und die eingekauften Spitzentitel keinen interessieren. Sind ja auch meist Ramschware. Weder Spiegelungen der Wirklichkeit noch gesellschaftskritische Panoramen sind unter den Neuerscheinungen nahezu aller Verlage zu finden: Sie setzen auf Thriller und Schmöker. Und Selbstbespiegelungen, die selten in die Geschichte oder wenigstens Geschichten eingebettet sind, Die Literaturvorschauen sind voll von Nichtssagendem. Ein Wust an Unerheblichkeiten. Es soll unabhängige Buchhändler geben, die den Einkauf der Neuerscheinungen reduzieren und stattdessen Taschenbücher aus der Backlist bestellen, hoffentlich auch „Das Narrenschiff“ von Katherine Anne Porter. 2010 – neu übersetzt -wieder aufgelegt. Ein literarisches Ereignis, ein weiblicher Klassiker der Weltliteratur, ein wahrhaft wuchtiger Gesellschaftsroman, der in der Bundesrepublik der sechziger Jahre auf tief verstörte Ablehnung stieß.Wenn heute Filme, Bücher und Platten von Frauen auf den Bestsellerlisten stehen, wenn heute mehr Schriftstellerinnen Virginia Woolfs Wunsch und Rat begriffen haben, dass es keinen Arm gibt, auf den wir uns stützen können, dass wir allein gehen, dass wir uns an die Freiheit gewöhnen müssen und an den Mut, genau das zu schreiben, was wir denken, dann ist dies das Ergebnis jahrelanger Anstrengungen einzelner Frauen. Nein, Alice Schwarzer gehört da nur begrenzt dazu. Da wären viele, viele andere vorher zu nennen.Wo könnten sich Köchinnen und Schriftstellerinnen treffen? Im Modus des unbedingten Interessiertseins, des Zuständigseins für die eigene Wirklichkeit. Könnten!Wo könnten sich Köchinnen und Schriftstellerinnen treffen? Ja, auf einem „Narrenschiff“, oder: beim Trost der Dinge, sprich beim Einkaufen. Oder: Bei dem Versuch reicher zu werden: eine Zukunft zu haben, bei der jede Bürgerin eine Grundsicherung erhält, was faktisch bedeuten kann, Geld für Arbeit, die aber nicht 40 Stunden geleistet wird, sondern vielleicht 25. Dieses Einkommen stockt sich auf: Fundraising, Tausch, Freundschaft, Neugier, Gemeinschaft, Erfindergeist, selbständige Geschäfte. Ziel: Unabhängigkeit vom Staat (in Deutschland schwer sich auszudenken, bei der erdrückenden Allgegenwart und Rechthaberei staatlicher Verwaltungsbehörden). Die amerikanische Soziologin Juliet Schor: „Die Erschöpfung des Planeten ist für viele Bürger schwer zu ertragen. Es kommt darauf an, dass sie als Bürger wieder eine Erfahrung der Handlungsfähigkeit machen. Viele haben in der Konsumkultur das Lernen verlernt und die Fertigkeiten, sich selbst zu erhalten. Das ändert sich gerade, und die Erschütterung der Finanzkrise kann als Motor wirken.“
Der Zwänge sind zu viele geworden. Der Erschöpfungen. Autorinnen sind nicht dazu da, Autoren als Rolle zu geben, sondern Verantwortung zu übernehmen, Interessiertsein an unserer Gesellschaft, Zuständigsein.
Wir brauchen neuen Mut, um das zu schreiben, was wir denken und zu handeln, wie wir wollen. Und wir brauchen eine grundsätzliche Solidarität, sei es in einer Organisation oder in freien überschaubaren kollektiven Zusammenschlüssen. Denn ohne die Chance eines gemeinsamen Handelns werden wir auch das wenige verlieren, das wir noch haben. Die soziale und politische Stellung der Schriftstellerin und des Autors ist in diesem Land – in West wie Ost – äußerst gering geworden. Kompetenz wird uns kaum zuerkannt.
Der Wert eines Manuskriptes, eines Filmbildes, einer Phantasie, eines Computerprogramms liegt nicht in der Höhe der Auflage oder der Einschaltquote, in der Menge der Benutzerinnen, sondern im Original. Wirklich kreatives Handeln ist von Natur aus immer subversiv und ist deshalb in der Regel nicht gestattet. Es ist ein Akt der ständigen Erneuerung. Es ist eine Profession und eine Leidenschaft. Wenn wir mit dieser Profession leben und von ihr leben wollen, müssen wir mit Leidenschaft und sehr viel Wissen und Können für uns und unseren Beruf einstehen.
Für sein Eigenes einstehen. Das ist vor allem anderen die Aufgabe der Künstler und Schriftstellerinnen, vor dem ersten Wort, dem ersten Ton: Die Poetik des Suchens. Eine Bewegung, die keine Jahrhundertgrenzen, keine Zeitbarrieren kennt. Die Poetik des Suchens verharrt in keinem Beweisnotstand, muss sich nicht mit dem ersten Wort als modern, Teil der Vormoderne oder Antimoderne definieren, denn wir sind die Geschöpfe, die sich selbst beobachten, die nach einem Anfang und Ende je suchen. Und jedes Subjekt fängt als Kopie an und erschafft sich in dem Maße neu, indem es gelingt, die Kopie abzutragen. Wir wären ein Original, wenn nicht von Anfang so vieles festgelegt würde und bestimmt ist.
Die Poetik des Suchens beinhaltet äußerste Radikalität zu sich selbst, die Klarheit in der Phantasie und bedeutet auch, wo keine Aussicht ist, diese zu beschreiben, zu sagen, da ist keine Aussicht.
Die meisten Wissenschaften sind Ergebniswissenschaften, sind Wissenschaften, die Festgefahrenes sortieren und präsentieren, Prozesshaftes lassen sie selten zu, hinken mit Welterklärungen, mit statischen Modellen den jeweiligen Zeiten hinterher und die Insel Utopia bleibt unerreichbar. Dominanz und Allumfassendes hat in vielen Wissenschaften einen hohen Wert, dabei gibt es doch schon längst keine eindeutigen Kriterien mehr für die Beschreibung unserer Lebenssituationen. Kunst, Literatur ist eine der besten Möglichkeiten die Beschreibungen der vielen Schichten und Bewegungen zu retten, das Erinnern im Heute zu leisten. Und eine Zukunft zu entwerfen. Keine Kopien der Vergangenheit. Aber im Wissen der Geschichte.

© Jay M. Walther