Oberkommissar Dresemann

Wer sich durch die Amtsbezeichnungen der Polizei liest, also durch die Dienstgrade, die möglichen Laufbahnen,die sich an den Uniformen in Streifen und Sternen widerspiegeln, der kann vielleicht verstehen, wie Menschen, Männer den Ehrgeiz entwickeln, voranzukommen. Mehr Streifen, mehr Sterne, mehr Geld und vor allem mehr Macht zu erhalten. 2018 und auch schon wieder in 2019 war viel zu erleben, wie diese Macht missbraucht werden kann oder wie sie nicht im Sinne des Amtes genutzt wird. Da vergnügen sich Polizeibeamte an Filmen über den Missbrauch in Lüdge, da verschwindet Material, da muss sogar ein Kriminaldirektor des Amtes enthoben werden. Da beteiligen sich Polizisten an rechten Netzwerken. Da decken sich Kollegen gegenseitig. Alles menschlich, aber diese ansteigenden Dienstgrade haben auch etwas verführerisches in sich. Schon für einen meiner Großväter war es wichtig, wie weit er es als Quartiermeister im Deutschen Heer brachte: Feldwebel war besser bezahlt als Wachtmeister. Oberpostsekretär auf der Post in Leipzig durfte einen Amtsbereich leiten. Und später erlebte ich wie das Streben sich bei der Bundesbahn vom Inspektor hoch zu schaffen zum Amtsrat das ganze Leben bestimmte. Nahezu ausschließlich.
„Ehrsucht ist die Schwäche der Menschen, wegen der man auf sie durch ihre Meinung […] Einfluss haben kann. […] Sie ist nicht Ehrliebe, eine Hochschätzung, die der Mensch von anderen wegen seines inneren (moralischen) Wertes erwarten darf, sondern Bestreben nach Ehrenruf, wo es am Schein genug ist.“ Das dachte Immanuel Kant in der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht.
Der Mensch ist für Kant ein Wesen, das ständig zwischen der Gesellschaft und der Ungeselligkeit schwankt. Er braucht die anderen Menschen, um seine Fähigkeiten zu entwickeln; ebenso hat er jedoch den Hang zum Eigensinn. Er will den Mitmenschen Widerstand entgegenzusetzen: einen Hang, aus dem die Trias Ehrsucht, Herrschsucht und Habsucht entsteht. Viel Stoff für das Leben und die Kriminalromane.
Der Philosoph Max Scheler (1874–1928) hat im Rahmen seiner Ressentimenttheorie den „Streber“ als den dominanten Sozialtypus der modernen Konkurrenzgesellschaft beschrieben. Angetrieben wird er von einem zum Ressentiment verfestigten Neid und einem zum Habitus gewordenen Wetteifer. Die „Sache“, um die er sich scheinbar bemüht, ist ihm im Grunde gleichgültig, letztlich geht es ihm nur um das Mehrsein und Mehrgelten.
Oberkommissar Alfons Dresemann ist weder von Schwäche und Gefühlen der Ohnmacht niedergedrückt, noch ein Streber. Er ist das, was er ist. Ein verheirateter Oberkommissar, 56 Jahre alt. Einfamilienhaus mit Garten. Einer, der gerne isst, der sich freut, wenn seine Frau für ihn kocht. Der sich über Familienfeste mit allen Kindern und Angeheirateten freut. Der sich auch freut, dass seine Frau ein Sozialkaufhaus aufgebaut hat, der für seine Kollegen und die Kommissarinnen ebenso kocht, wie für seine Frau.
Dresemann hat es in seiner Laufbahn nicht weit gebracht. Er hatte nie Lust daran, anderen zu sagen, was sie tun sollten. Bei den immer komplexer werdenden Ermittlungen fehlt ihm schnell der Überblick, aber er ist ein guter Teamplayer. Einer, der nicht nur Kaffee für alle kocht und Brötchen schmiert, sondern der bei Vernehmungen sehr gut den bad oder good Part geben kann. Vor allem aber weiß er über so gut wie alles Bescheid, was im Münsterland läuft, wer Dreck am Stecken hat, wer wann was mit wem mauschelte. Er hört zu, was geredet und erzählt wird. Manchmal sagt er einfach: So und so ist es, der und der ist der Böse. Die Behauptungen des Oberkommissars Dresemann, aber alle im Team wissen. Dresemann hat schon oft recht behalten, ganz ohne Beweise.

(JMW)