Kommissar Simonsberg ermittelt am Weltenrand

Ida Waschinski liebte es, morgens im Bett einen Milchkaffee zu trinken, Zeitungen zu lesen und über die Schleusen zu schauen. Sie beantwortete die ersten Mails, gab Bestellungen durch, plante auf einem Schmierzettel den Tag und erst dann ging sie hinunter, zuerst durch die Hintertür hinaus in den großen Bauerngarten mit Buchsbaum, Fliedersträuchern, Gemüsebeeten und vielen Kräuterbüschen. Jetzt, im frühen Herbst war der Liebstöckelbusch groß und breit, die Sonnenblumen strahlten gelb und rot, der Lavendel duftete und der rote und weiße Mohn tanzte im Wind. Ida war stolz auf ihren Garten und sie liebte diese blaugraue Stunde morgens. Erst dann betrat sie ihre Kneipe. Für sie blieb ihr kleines feines Restaurant eine Kneipe. Ihr Vorbild waren die französischen Brasserien, in denen alles möglich war an Alltagsleben: Da wurden Wettscheine ausgefüllt, Bier und Wein am Tresen getrunken, Menüs verspeist. Gelesen, geredet. Bankangestellte saßen neben LKW-Fahrern und der Markthändlerin. Aber so ging es nicht zu in der Alten Schleuse. Tagsüber kamen einige Bauern, Schiffer und Bauarbeiter auf ein Bier, Weizenkorn wurde immer weniger getrunken; manche Vertreter aßen Bratkartoffeln, Idas Currywurst, den Eintopf des Tages. Oder sie nahmen sich eines der Mettwürstchen, die wie in alten Zeiten aufgereiht im Kamin hingen. Nachmittags schauten Spaziergänger und Radtouristen vorbei. Kaffee, Kakao, Weizenbier, höchstens ein mit Blaubeeren oder Pilzen gefüllter Pfannkuchen oder ein Schinkenschnittchen. Erst abends wurde es an guten Tagen voll mit den Gästen aus der Stadt. Sie wollten fein essen und inzwischen fuhren einige auch Zur Alten Schleuse, um gesehen zu werden, denn es hatte sich herumgesprochen, welch ausgezeichnetes Restaurant Ida und ihr Mann in Düsseldorf geführt und wer dort alles verkehrt hatte. Ida war das Getue dieser Leute egal. Ida wusste, sie lebte in jeder Beziehung, auch in der Liebe, mit einer Mischkalkulation, denn der Umsatz im Sommer, der kleine Biergarten, die Terrasse, mussten die Kosten für Januar und Februar decken. Und auch zu Wochenbeginn war sie oft genug noch ihr einziger Gast. Dann auch ohne ihren Liebsten Henning Simonsberg, dem Kommissar mit Sonderaufträgen, der auf den Kanälen zwischen Rotterdam, Münster und Papenburg feststeckte. Immer auf der Suche nach illegalem Handel und Transport. Seit Neuestem nach Designerdrogen und gefälschten Medikamenten.
In der Alten Schleuse war ein Kommen und Gehen, ein Durcheinander. Zwei Tage musste Ida Fragen beantworten, fand auch beim Kochen keine Ruhe. Mit Henning Simonsberg durfte Ida gar nicht erst sprechen. Er durfte sie nicht umarmen und küssen. Er wurde sofort nach oben in der Polizeihierarchie durchgereicht und durchgecheckt: Ja, er war ein deutscher Staatsangehöriger, ein Erster Kriminalhauptkommissar, einer der im Revier rund um den Hamburger Michel und im dortigen neuen Containerhafen seine Erfahrungen gesammelt hatte, seit Kurzem ein meist verdeckt arbeitender Ermittler der SoKo Europort, stationiert in Rotterdam, woraufhin einer der Herren in Gelächter ausbrach: „Wir haben einen der ‚Zitrusfrüchte vom Niederrhein’ erwischt.“ Simonsberg wäre beinahe die Hand ausgerutscht, um wenigsten auf den Tisch zu hauen. Stattdessen sagte er nur: „Wir kennen den Spitznamen und mögen ihn. Immerhin vermasseln wir ja kleinen und großen Verbrechern aus allen Kreisen und Ländern ihre Geschäfte. Oft genug auch den Aktenkofferträgern.“ Simonsberg knallte die Tür zu, er mochte eine bestimmte Sorte Menschen nicht, die, die immer nur an ihr eigenes Fortkommen, an die Vorschriften dachten und andere herabsetzten, wo und wie es nur ging.

Kommissar Simonsberg wurde in Friedrichskoog, während eines Stipendiums, erfunden, an der Nordsee, mit Blick auf die Deiche und die Elbmündung. Ein Hamburger Kriminalhauptkommissar, der sich nach dem Tod seiner Frau an den Weltenrand ins Dithmarscher Land flüchtet, der wie im Eis erfroren lebt, aber hartnäckig alle düsteren Fälle und Strandräubereien aufklärt. Der noch einmal den Herzensmut fasst und in Rotterdam neu beginnt und quer durch Europa und durch die alten und neuen Zeiten ermittelt.

In der Edition Bärenklau eXclusiv erschien Kommissar Simonsberg ermittelt am Rand der Welt mit fünf  Geschichten als eBook und auch als Taschenbuch.

 https://baerenklauexklusiv.de/produkt/j-monika-walther-kommissar-simonsberg-ermittelt-am-rand-der-welt-fuenf-faelle-fuer-den-kommissar-nord-krimis-ebook/?

Ida Waschinsky blieb nach dem Aufräumen noch lange in ihrem Zimmer hinter der Küche sitzen, trank abwechselnd Wasser und Vodka, rieb sich die Wange. Sie war wund von Simonsbergs Stoppeln. Er hatte sie lange gehalten, geküsst, liebend, aber auch wie ein Verzweifelter.
„Ich habe immer gedacht, ich habe einen guten Beruf. Immer. Aber während die Glocken läuten und es still regnet, die Menschen in den Kirchen beten, passiert nicht nur ein Totschlag aus Verzweiflung, ein Raub aus Not, ein geplanter Mord aus Eifersucht. Nein, alles geschieht massenhaft, aus Geldgier oder aus Bösartigkeit und Lust am Morden, wie es dieser Arno Weissner mit seinen Kameraden getan und fotografiert hat.“
Während Simonsberg nachsann, nahm Ida eine Portion Blätterteig aus dem Kühlschrank, schnitt Äpfel, erhitzte Zucker und Wasser, goss Sahne dazu, gab Butter und Salz hinein, rührte die Sauce glatt. Ida beschäftigte sich mit einer gestürzten Apfeltarte mit Salzkaramellsauce. Ida sagte: „Die Menschen können beides: gut und böse sein. Manche sind herzensgut, manche grauenhaft schlecht. Die Schlechten müssen wissen, dass sie nicht davonkommen. Ich weiß, auch der Internationale Gerichtshof in Den Haag hindert keinen Diktator anderen Menschen das Herz aus den Rippen zu schneiden, aber irgendwann sitzt er in einer Gefängniszelle und nicht in seinem goldenen Palast. Irgendwann. Die Hoffnung habe ich. Dazu braucht es Menschen wie dich und Sophie.“ Simonsberg sah sie lange an, sagte: „Ich liebe dich.“ Dann war er schlafen gegangen. Und sie saß da, rieb sich ihr Gesicht und dachte kreuz und quer in der Welt herum, und wie leid ihr der Tod von Ines Baader tat, dann sagte sie in die Dunkelheit hinein: „Ich muss auf Simonsberg und mich aufpassen.“ Sie spürte nach den ängstlichen Tagen keine Furcht mehr. Sie sagte allein für sich: „Damit es mehr Geliebte geben kann, müssen mehr Menschen lieben.“

Der Band Kommissar Simonsberg ermittelt am Weltenrand enthält fünf Fälle:
Die Frau ohne Füße
Das Glück der Strandräuberin
Die roten Clowns
Die Toten leben besser
Das schöne Dorf